Runen raunen – Tore im Nebel der Zeit zu uraltem Wissen. Taste of Power (Alexandra Szeli)

Manchmal, wenn die Mondin über das Wasser steigt und ihr Licht den Nebel berührt, erhebt sich ein Flüstern. Die Runen beginnen zu raunen. Ihr Klang zieht durch die Glieder, er bewegt das Blut und erinnert an eine Wahrheit, die aus der ersten Stunde des Seins stammt. Linien formen sich zu Zeichen, die eine Kraft in sich bergen, wie sie nur den Wurzeln der Welt entspringt.

Runen sind nicht nur eine bloße Schrift. Sie sind Klang und Atem, Form und Bewegung zugleich. Uraltes Wissen hat sie in die Welt gesetzt, und seit jener Zeit begleiten sie die Götter und Menschen gleichermaßen. Jede Rune gleicht einem Gefäß, das ein verborgenes Lied in sich trägt. Manche Runen öffnen Räume, andere weisen den Weg, wieder andere legen Verborgenes frei.

Die Lieder der Edda erzählen von Odin, dem Wanderer, der sich selbst dem Weltenbaum hingab. Neun Nächte hing er dort, verwundet, einsam, ohne Speise und Trank. Unter ihm flossen die Wasser der Tiefe, und aus ihnen stiegen die Runen empor. Sie erschienen als ein Geschenk der Nornen, die uralten Weberinnen. Wer heute eine Rune in der Hand hält, verbindet sich mit diesem Augenblick, in dem die Zeichen erstmals aus dem Dunkel hervortraten.

Fehu, die Rune des Reichtums, brennt wie Feuer. Sie schenkt Fülle. Fehu drängt zu Bewegung und sie lehrt, dass alles, was gegeben wird, auch wiederkehrt. Laguz, die Rune des Wassers, fließt durch innere Räume. Sie spült Träume an die Oberfläche und sie begleitet Übergänge, die Vertrauen erfordern. Eihwaz, die Rune des Weltenbaumes, erhebt sich wie eine Achse, die Leben und Tod verbindet. Sie schenkt Standhaftigkeit, wenn Schwellen überschritten werden. In jeder Rune lebt ein eigener Geist, ein Archetyp, der die Seele spiegelt.

Wer dem Raunen lauschen will, kann ein einfaches Ritual beginnen.

Wähle einen stillen Ort. Zünde eine Kerze an, und lass die Flamme als Hüterin deines Kreises wirken. Nimm eine Rune, die dich ruft, zeichne sie auf Holz oder Stein, oder forme sie mit Sand auf die Erde. Lege deine Hand darauf, atme bewusst ein und sprich den Laut der Rune. Lass die Schwingung lang durch deine Kehle fließen, bis dein Körper sie spürt. In diesem Moment öffnet sich ihr Raum. Bilder und Empfindungen steigen auf, vielleicht auch ein inneres Wort oder ein Satz. Das Raunen entsteht in dir, und die Rune antwortet.

So begleiten die Runen den Alltag. Eine gezogene Rune am Morgen kann Ausrichtung schenken. Eine Rune am Abend schließt den Tag und wirkt als ein Tor zur Ruhe. Sie erscheinen in Übergängen, in Fragen, auf die du keine Antwort findest und in Momenten, in denen eine Entscheidung ansteht. Wer mit ihnen lebt, erfährt sie als Gefährtinnen, die den Weg durch Zeit und Schicksal weben.

Die Runen raunen noch immer. Ihr Klang lebt im Atem der Bäume, im Fließen des Wassers und im Knistern des Feuers. Sie rufen jede, die bereit ist, sich von ihrem Licht in die Tiefe führen zu lassen. Wer mit ihnen geht, folgt einem alten Faden, der zurückführt zu den Quellen des Seins.

Von Alexa Szeli | Oktober 1st, 2025 |

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