Offenbarung: Unsere kreative Natur verbreitet sich (schneller) wie ein Virus

Veröffentlicht von Taygeta | Jan 7, 2021 | Bewusstsein & Spiritualität, Essays, Tiefergehende Übersichten / Zusammenhänge | 0 |

Von Paul Levy auf seinem Blog awakeninthedream.com.

Dunkle Zeiten sind in der Regel Zeiten der großen Offenbarung. „Offenbarung“, um C. G. Jung zu zitieren, „ist in erster Linie eine ‚Enthüllung‘ der Tiefe der menschlichen Seele“1). Oft wird die Menschheit nicht durch das, was wir bewusst denken, aus einer Krise gerettet, sondern die rettende Gnade kommt von etwas, das uns offenbart wird und unerwartet als Ergebnis der Krise auftaucht. Offenbarungen können mit zeitlosen Schätzen, die darauf warten, mit der Zeit entdeckt zu werden verglichen werden, und sie kommen in vielen Formen und auf viele Arten. Manchmal tauchen sie zuerst scheinbar außerhalb von uns selbst auf, kommen durch ein äußeres Ereignis in die Welt – oder sie werden durch ein solches ausgelöst, wie zum Beispiel der Ausbruch des Coronavirus. Letztlich ist die tiefste Offenbarung jedoch etwas, das in der schöpferischen Natur unserer Seele verborgen liegt und darauf wartet, entdeckt zu werden.

Es gibt Schätze, die buchstäblich in uns vergraben sind, verborgen in unserem Unbewussten. Diese verborgenen Schätze sind wie kostbare Juwelen oder Rohdiamanten, die im Gewebe der unbewussten Psyche verschlüsselt vorhanden sind. Man kann sich vorstellen, dass sie in einer höheren Dimension als in unserem bewussten Verstand existieren und als solche für unseren bewussten Intellekt normalerweise nicht zugänglich sind. Diese Schätze, die seit jeher im kollektiven Unbewussten unserer Spezies schlummern, werden normalerweise in Zeiten großer Not geweckt. Wenn die Zeit reif ist, erweckt unsere Intuition – aufgrund ihrer Verbindung zu unserem Unbewussten – die bis dahin formlose kreative Offenbarung, die im Kessel des Unbewussten brodelt, und beginnt sie zu „sehen“. Unsere Aufgabe besteht dann darin, die Offenbarung hervorzubringen und kreativ in einer Form auszudrücken, die uns hilft, sie zu verwirklichen, während wir sie klarer in uns selbst erkennen. Um den Jungianer Erich Neumann zu zitieren: „Diese Bilder, Ideen, Werte und Potentiale des Schatzes, der im Unbewussten verborgen ist, werden vom Helden [dem schöpferischen Individuum] in seinen verschiedenen Gestalten zur Welt gebracht und verwirklicht.“ 2)

Die potentielle Offenbarung kann man sich als eine schöpferische Naturkraft vorstellen, die im Unbewussten lebt und buchstäblich danach dürstet, sich sowohl in unserem Geist als auch in unserer Welt zu inkarnieren. Wie eine lebende Entität, die im Schoß des kollektiven Unbewussten der Menschheit heranreift, wird diese baldige Offenbarung eine geeignete kreative Person anziehen – jemanden, der für die potenzielle Offenbarung sensibel ist und mit ihr in Resonanz geht –, um das Instrument zu werden, durch das sich die neugeborene Offenbarung kleidet, eine bestimmte individualisierte Form annimmt und in unsere drittdimensionale Welt eintritt. Jung schreibt: „Plötzlich gibt es einen Blitz der Assoziation zwischen zwei scheinbar unverbundenen und weit voneinander entfernten Ideen, und das hat den Effekt, eine latente Spannung zu lösen. Ein solcher Moment wirkt oft wie eine Offenbarung.“ 3)

Unser Geist, die empfindsame Präsenz, die uns beseelt, ist von Natur aus kreativ. Der Mensch ist, in Neumanns Worten, „eine kreative Kraft, die nach Erfüllung verlangt.“ Wir können uns den kreativen Instinkt als einen lebendigen Impuls vorstellen, der in die menschliche Psyche eingepflanzt ist. Wahre Kreativität ist eine Fortsetzung und Wiederholung des fortwährenden Aktes der kosmischen Schöpfung selbst auf menschlicher Ebene. Das schöpferische Individuum, schreibt Neumann, „erzeugt in seiner eigenen Seele denselben schöpferischen Prozess, den es außerhalb seiner selbst in der Natur findet“. 4)

Der schöpferische Akt ist nicht etwas, das von etwas anderem abgeleitet ist; seine Wurzeln reichen in die tiefsten Tiefen unseres Wesens hinein und tauchen von dort auf. Um den russischen Philosophen Nicolas Berdyaev zu zitieren: „Das schöpferische Geheimnis ist vor dem Menschen verborgen und wird aber auch durch den Menschen offenbart“. 5) Das bedeutet, dass der verborgene Schatz unserer Kreativität so in uns verborgen ist, dass nichts außerhalb von uns ihn hervorbringen kann. Wir müssen ihn aus und in uns selbst offenbaren. Und dies ist ein selbstheiligender Akt ist, der keiner Bestätigung von außen bedarf. Neumann kommentiert: „Die selbsterzeugende [schöpferische] Kraft der Seele ist das wahre und letzte Geheimnis des Menschen, kraft dessen er nach dem Bilde Gottes, des Schöpfers, geschaffen ist.“ 6)

Der Schöpfer schuf den Menschen nach seinem Ebenbild – ein freies, mit schöpferischer Kraft begabtes Wesen. Die Menschheit wurde erschaffen, damit auch sie schöpferisch tätig wird; kreativ zu sein ist unsere göttlich sanktionierte Berufung. Kreativ zu sein ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, ein moralischer Imperativ, unsere Berufung. Gott wartet auf eine Antwort auf seinen/ihren Ruf – die Menschheit ist dazu aufgerufen, sich aktiv an der Auseinandersetzung mit unserer kreativen Natur zu beteiligen und diese zu offenbaren. Uns kreativ auszudrücken ist die Offenbarung des Bildes Gottes in uns; es bedeutet, an unserer gottähnlichen Freiheit teilzuhaben. Es ist die Kreativität der Menschheit, die unsere Freiheit offenbart, befreit und verwirklicht.

Jeder von uns, der sich aktiv mit seiner schöpferischen Natur auseinandersetzt, bereitet buchstäblich den Boden für die sprichwörtliche „Wiederkunft“ vor, geht auf sie zu und ruft sie symbolisch hervor – ein kosmisches Ereignis, das niemals von jemandem erlebt werden wird, der nicht, in Berdjajews Worten, „den kühnen Akt der Offenbarung seiner eigenen schöpferischen Natur vollbracht hat“. 7) Mit anderen Worten: Um die Herrlichkeit Gottes zu erfahren, müssen wir unsere eigene angeborene herrliche Natur offenbaren, indem wir uns selbst als Instrument anbieten, damit der schöpferische Geist sich durch schöpferischen Akte durch uns offenbaren kann.

Allem Anschein nach scheint es, als ob der Schöpfer unseres Universums den Menschen geschaffen hat, um an der schöpferischen Potentialität, die dem Universum innewohnt, teilzuhaben und das Vehikel dafür zu sein, dass sie sich in Form verwirklicht und bewusst bekannt wird. Dies erinnert an den göttlichen Spruch: „Ich war ein verborgener Schatz, ich sehnte mich danach, erkannt zu werden. Deshalb habe ich Geschöpfe hervorgebracht, um in ihnen erkannt zu werden.“ 8)  Es soll darauf hingewiesen werden, dass das Erkennen an sich ein kreativer Akt ist; wenn wir jedoch die Kreativität erkennen wollen, müssen wir kreativ sein. Es gibt keine heiligen Schriften über die Entfaltung der schöpferischen Tätigkeit der Menschheit – wir sind unserem eigenen Erfindungsreichtum überlassen, um herauszufinden, wie wir uns am besten mit der unserer Natur innewohnenden Kreativität auseinandersetzen und sie ausdrücken können. Unsere offene Empfänglichkeit für das Unbewusste, verbunden mit unserer aktiven Auseinandersetzung mit seinen Eingebungen, ermöglicht es unserem Geist, sein bisher nicht realisiertes Kreativitätspotenzial in unserer Antwort auf seinen Ruf zu verwirklichen.

Offenbarung ist nicht etwas, das das bewusste Ich von sich aus geschaffen haben könnte, sondern kann nur organisch aus der Spannung zwischen einem stabilen Bewusstsein und einem aufgeladenen Unbewussten entstehen. Das Aushalten dieser schöpferischen Spannung beinhaltet notwendigerweise einen Zustand des Leidens. Neumann schreibt über das schöpferische Individuum: „Nur indem es, vielleicht unbewusst, unter der Armut seiner Kultur und seiner Zeit leidet, kann es zu der sich frisch öffnenden Quelle gelangen, die dazu bestimmt ist, den Durst seiner Zeit zu stillen.“ 9) Die schöpferischen Menschen sind sozusagen die psycho-spirituellen Organe unserer Spezies, die alchemistischen Gefäße, in denen die Gifte des Kollektivs erlitten werden, dann verstoffwechselt und alchemistisch in Medizin umgewandelt werden. Indem sie durch ihr Leiden hindurchgehen, ohne zu dissoziieren oder darin stecken zu bleiben, entsteht als Ergebnis ihrer Tortur eine heilende Kraft, und diese heilende Kraft ist der kreative Geist in Aktion.

„Wo immer wir das schöpferische Prinzip finden“, schreibt Neumann, „verehren wir es als den verborgenen Schatz, der in bescheidener Form ein Fragment der Gottheit verbirgt [und, wie ich hinzufügen möchte, gleichzeitig „offenbart“]“. 10) Mit anderen Worten, der verborgene Schatz, die große Offenbarung, die in unserem Unbewussten verborgen ist ist der schöpferische Geist selbst – mythisch als „der schwer zu erreichende Schatz“ bezeichnet . Wenn er angezapft wird, ist dieser Geist eine scheinbar unerschöpfliche Quelle der Kreativität in uns, die einen Strom von Offenbarungen hervorbringt, wie eine Quelle, die aus den Tiefen unseres Unbewussten nach oben sprudelt. Neumann kommentiert: „Wann immer sie erscheint, hat die schöpferische Kraft Offenbarungscharakter.“ 11) Dieser „schöpferische Punkt“ ist, um Neumann zu zitieren, „der vergrabene Schatz, der das Wasser des Lebens, der Unsterblichkeit, der Fruchtbarkeit und des Jenseits in einem ist“. 12) Die Verbindung unseres Bewusstseins mit den schöpferischen Kräften des Unbewussten ist, so Neumann weiter, „der Punkt der Erneuerung und Wiedergeburt …, wird mit der schöpferischen Gottheit identifiziert und von ihr hängt der Fortbestand der Welt ab“. 13)

Das größte Gift für die menschliche Psyche ist unausgedrückte Kreativität. Das bedeutet, dass wir, wenn wir nicht aktiv daran beteiligt sind, uns kreativ auszudrücken, unsere Natur verraten, dass wir unwissentlich mit unserer eigenen Viktimisierung kollaborieren und mitschuldig werden an der Schaffung unseres psycho-spirituellen Unwohlseins. Da die schöpferische Funktion ein Ausdruck des größten der menschlichen Seele innewohnenden Wertes ist – und diesen erschafft –, kommentiert Jung: „Es ist höchst gefährlich, ihn zu stören … wenn man den schöpferischen Impuls zerstört, zerstört man gleichzeitig den inneren Wert des Individuums. Aber man kann immer noch als Wandschmuck weiterleben“. Kreativität, der keine geeignete Ausdrucksform gegeben wird, kann man sich als einen hinderlichen Schatten vorstellen, der das Licht der Göttlichkeit in uns verschleiert. Augen zu haben und nicht zu sehen, Ohren zu haben und nicht zu hören, sind untrügliche Symptome einer Sklerose des Bewusstseins und eines Verschlusses für den Ruf des kreativen Geistes.

Bestimmte Individuen, die mit einer besonders starken Intuition begabt sind, spüren die bewegenden Strömungen, die im kollektiven Unbewussten stattfinden, und sind in der Lage, diese Veränderungen kreativ in eine kommunizierbare Sprache (ob verbal und/oder nonverbal) zu übersetzen. Diese kreativen Ausdrücke können sich potenziell schnell verbreiten – sie gehen viral – und haben eine so starke transformative Kraft, weil parallele Veränderungen im Unbewussten anderer Menschen stattgefunden haben. In ihrer Wirkung ansteckend, kann sich echter kreativer Ausdruck, der im richtigen Moment auftaucht, „viral“ über das Unbewusste unserer Spezies in einer Weise verbreiten, die latente, kreative Energie entzünden kann, die im kollektiven Unbewussten der Menschheit schlummert. Dies kann verborgene Möglichkeiten (sowohl in uns als auch in der Welt) ans Licht des bewussten Bewusstseins bringen und verwirklichen, was ein Prozess ist, der die Kraft hat, echte Veränderungen in der Welt zu bewirken.

Unsere Spezies braucht dringend die Führung und Hilfe der grenzenlosen kreativen Kräfte, die in den Tiefen unseres Unbewussten schlummern, um uns zu helfen, neue Wege zu finden, um die unzähligen miteinander verwobenen Aspekte unserer vielfältigen Weltkrisen zu lösen. In Anbetracht der Tatsache, dass diese weit verbreiteten systemischen Krisen das direkte Ergebnis eines Mangels im menschlichen Bewusstsein sind, wird es offensichtlich, dass wir nur durch eine Erweiterung des Bewusstseins in der Lage sein werden, durch die enge Passage vor uns zu navigieren. Das Bewusstsein kann sich aber nur dort entfalten und entwickeln, wo es eine lebendige Verbindung mit den schöpferischen Kräften des Unbewussten bewahrt und pflegt.

Die Kreativität der unbewussten Psyche – die sich in einem Zustand nie endender schöpferischer Neuformierung befindet – transformiert ständig unsere Erfahrung der Realität und auch sich selbst. Paradoxerweise zieht uns der Akt der Schöpfung aus uns selbst heraus, während er uns gleichzeitig hilft, zu uns selbst zu kommen. Kreativität ist nicht getrennt von unserer wahren Natur – sie IST ihr unvermittelter Ausdruck. Jung weist darauf hin, dass „man nur in einer Situation, in der man unbedingt eine kreative Lösung braucht, die Quelle in sich selbst erfährt; es braucht also immer das Unmögliche“. Das Unbewusste produziert oft einen scheinbar unmöglichen und unlösbaren Umstand in unserem Leben, um uns zu katalysieren und uns zu helfen, unsere kreative Natur zu erkennen.

Als schöpferische Person sind wir das, was Neumann als „Träger des göttlichen Wunders“ bezeichnet, aktiv daran beteiligt, uns selbst immer wieder neu zu erschaffen und uns selbst zu offenbaren – durch das Hervorbringen unserer schöpferischen Gaben in die Welt. Um Jung zu zitieren: „Nur in unseren schöpferischen Handlungen treten wir ins Licht und sehen uns selbst ganz und vollständig“. Indem wir schöpferisch sind, entdecken wir die wahre Offenbarung, die keine andere ist als wir selbst. Wie Jung uns daran erinnert: „Nur was wirklich man selbst ist, hat die Kraft zu heilen.“

Fußnoten:

  1. Jung,Psychology and Religion: West and East, CW 11, para.
  2. Neumann,The Origins and History of Consciousness, 211..
  3. Jung,The Development of Personality, CW 17, para.
  4. Neumann,The Origins and History of Consciousness, 211.
  5. Berdyaev,The Meaning of the Creative Act, 100.
  6. Neumann,The Origins and History of Consciousness, 210-211.
  7. Berdyaev,The Meaning of the Creative Act, 107.
  8. Henry Corbin,The Voyage and the Messenger: Iran and Philosophy(Berkeley, CA: North Atlantic Books, 1998), LV.
  9. Neumann,Art and the Creative Unconscious, 98.
  10. , 168.
  11. Jung,The Structure and Dynamics of the Psyche, CW 8:735.
  12. Jung,Two Essays on Analytical Psychology, CW 7, para. 258.
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