Schuld … EINE Geschichte aus den Fluttagen, Yvonne Schneider

Wenn nicht gewünscht, bitte löschen. Aber es tat mir gut, diese Zeilen zu schreiben

Schlaflos in Vernich …

Jegliches Zeitgefühl habe ich mittlerweile verloren und ständig muss ich nach dem Wochentag oder nach der Uhrzeit fragen… heute ist Freitag, der Tag, an dem mir genau vor einer Woche richtig bewusst wurde, es war kein Alptraum, es war, es ist die Realität!

Die Nacht, in der ich nicht Zuhause schlafen konnte, meine Katzen alleine im Haus waren und mein Hund nicht verstand, warum wir nicht zusammen sein konnten. Die Nacht, wo ich mir viele Fragen stellte. Wie werden die Kinder dieses Ereignis verarbeiten? Was kommt auf uns zu? Wie reagieren meine Tiere auf diese Katastrophe? Wie sollen wir das alleine schaffen? Wie sieht unsere Zukunft aus?

Auch eine Woche später beschäftigten mich all diese Fragen, natürlich nachts, wenn ich im Bett liege und die eigentlich lang ersehnte Ruhe nach anstrengenden Tagen brauche. Aber da spielt mein Kopf nicht mit…

Die Hilfsbereitschaft, die wir alle in den letzten Tagen erfahren und erleben durften, macht mich sprachlos und zutiefst dankbar. Der Zusammenhalt untereinander ist stärker als jemals zuvor. Familie, Freunde, Bekannte und mir bis dato fremde Menschen geben mir Halt und zeigen mir, dass ich nicht alleine bin, dass sie da sind für uns! Das gibt mir soviel Kraft und Mut und Zuversicht und ich weiß, mit dieser positiven Energie ist einfach alles möglich!

Gedanken schweifen jede Nacht, besonders an die Nacht, als das Wasser kam. Nach dem ersten Schock und stundenlangem Sandsäcke schleppen, dachte ich, es sei geschafft. Das Wasser ging zurück. Hundemüde nachts um eins ins Bett…

Ich habe keine Sirenen oder gar Durchsagen mitbekommen, aber den Telefonterror morgens ab 04.40 Uhr und dachte noch im Halbschlaf, mein Gott, lass mich bitte einfach nur weiterschlafen! Und hoffentlich werden die Kids davon nicht wach, die zu diesem Zeitpunkt unten im Wohnzimmer auf der ausziehbaren Couch lagen. Unser Freund war hartnäckig und rief immer weiter an, so dass ich um 4.42 Uhr nun endlich ans Handy ging.

„Ihr müsst da raus, geht es euch gut? Das Wasser kommt!“

Welches Wasser? war mein erster Gedanke. Dann blitzartig runter Richtung Wohnzimmer, bis zu den Knien im Wasser. Die Kinder sofort geweckt und in die obere Etage gebracht. Beide weinten, mein Mann versuchte zu trösten! Ein Blick aus der Haustür und mir wurde schnell klar, hier kommen wir nicht mehr raus mit den Kids. Ein reissender Fluss hatte sich in unserem Eingangsbereich gebildet und wir waren umzingelt vom Wasser.

112 – wir versuchen mehrfach die Feuerwehr telefonisch zu erreichen, kein Durchkommen und in diesem Moment wird mir bewusst, wir haben ein großes Problem!

Retten, was zu retten ist, war mein nächster Gedanke, ohne darüber nachzudenken, wie gefährlich das ganze wohl ist. Ich reisse alle Handtücher aus dem Schrank und versuche den Eingang zu meiner Küche zu schützen, die Küche, die zwei Tage zuvor erst aufgebaut wurde. Meine Traumküche, die ich mir zusammen gespart hatte und mein langersehnter Traum von einer eigenen Kochinsel verwirklicht hatte.

Heute weiss ich, dass ich lieber hätte Erinnerungen retten sollen, Fotos, die mein, unser und das unserer Weggefährten, also meine Geschichte dokumentieren. Die gibt es nun nicht mehr und das schmerzt. Sogar sehr!

Um kurz nach sieben bricht das Handynetz zusammen und ich bin nicht mehr in der Lage, telefonisch Kontakte aufzunehmen. Die Notrufnummer ist weiterhin nicht zu erreichen.

Gegen 10 Uhr der erste Hoffnungsschimmer, liebe Helfer in Eigeninitiative kommen zu uns runter und haben ein Schlauboot dabei. Ich bin erst aufgelöst, klappt das, ich kann die Tiere nicht zurück lassen, ich muss aber auch dafür Sorge tragen, dass die Kinder in Sicherheit gebracht werden. Die Entscheidung steht, nachdem alle Möglichkeiten der Kommunikation zusammen gebrochen sind. Die Kinder werden durch das Küchenfenster in das Boot gehoben. Ein erster kleiner Befreiungsschlag.

Die Katzen befinden sich mittlerweile im Dachgeschoss, unser Hund total unruhig und verstört. Kein Fressen, kein Gassi bis jetzt.

Wir decken die Katzen mit Wasser und noch ein paar gefundenen Leckereien ein. Die Entscheidung steht, wir müssen raus. Der Hund wird mit der letzten Leine, die wir finden konnten, angeleint und mein Mann verlässt mit ihr gemeinsam das Haus, mit den Worten, du wartest hier, ich hole Hilfe!

Ich möchte raus, meiner Familie folgen und merke, wie es mir die Beine wegzieht. Ich erinnere mich an die Worte meines Mannes, pass auf jeden Schritt auf, versuche dich langsam vorzutasten, es können Gegenstände im Wasser sein oder gar offene Kanaldeckel.

Ich nehme das Risiko in Kauf, versuche mich langsam entlang der Garagenmauer nach vorne zu kämpfen und merke immer wieder, welche Kraft das Wasser hat. Eine Nutria schwimmt an mir vorbei und ich sehe, sie kämpft, sie wird mitgerissen und sucht verzweifelt nach einem Halt.

Am Ende der Garage wartet man bereits auf mich und man reicht mir die Hand, um gemeinsam ins ruhigere Wasser zu gelangen. Wir stehen bis zum Bauch im Wasser.

Wir haben es geschafft, auf zum Sammelplatz. Und hier wird mir das erste Mal richtig bewusst, nachdem ich die Massen an Menschen und die aufgestellten Betten sehe, das viele die gleichen Ängste und Sorgen plagen.

Was ist mit meinen Eltern, meinen Schwestern und mit meinen Freunden? Keiner hat mehr Netz! Wir können weder anrufen noch angerufen werden.

Wir fahren zu einer Freundin, in der Hoffnung, endlich einen heissen Kaffee zu bekommen. Dort angekommen, erfahren wir, wie groß das Ausmaß ist und dass das komplette Stromnetz ausgefallen ist. Immer wieder fällt das Wort Steinbachtalsperre.

Angst, pure Angst! Meine Eltern…

Ich muss nach Euskirchen, egal wie!

Über tausend Umwege schaffen wir es, in die Stadt reinzufahren und ich sehe Bilder, die ich mein Leben nicht mehr vergessen werde. Wir klingeln an ihrer Tür und meiner Mama laufen die Tränen übers Gesicht, Kind du lebst!

Kind ich lebe? Auch bis jetzt ist mir das ganze Ausmaß immer noch nicht bewusst!

Freitag, letzte Woche, fahren wir das erste Mal wieder ins Haus und ich kann meine Eindrücke nicht in Worte fassen. Die Tränen laufen. Das komplette Erdgeschoss ist ruiniert. Kein Möbelstück steht noch an seinem ursprünglichen Platz und ein widerlicher Geruch steigt in die Nase. Es ist nichts mehr zu retten!

Gegen Mittag kommen Familie und Freunde und helfen, helfen das komplette Erdgeschoss von Müll, Möbeln und Fussböden zu befreien. Nach drei Stunden sind alle Räume geleert. Küche, Wohnzimmer, Esszimmer, Waschraum, nichts ist mehr da! Ich verliere den Mut, denke, ich hätte alles verloren!

Ich werde getröstet und merke, ich bin nicht alleine, viele wollen mir in dieser Situation beistehen. Es rührt mich sehr.

Die letzten Tage waren geprägt von Aufräumarbeiten, Organisation und Hilfe in der Nachbarschaft. Viele ältere Menschen wohnen in unserer Nähe und brauchen Hilfe.

Dienstag konnte ich dann das allererste Mal Fernsehen, Nachrichten und die Bilder, die dort gezeigt wurden lösten in mir eine unfassbare Traurigkeit hervor. Menschen verloren ihr Leben in dieser Katastrophe und ich hab Montags noch meiner Küche nachgeheult. Ich schämte mich!

Wir leben und das ist es, was zählt! Familie, Freunde, Bekannte und auch viele bis dato fremde Menschen für mich geben mir Mut, schenken mir Zuversicht. Ich danke euch von ❤❤❤!

Zusammen schaffen wir das und die Hilfsbereitschaft ist nicht in Worte zu fassen! Unglaublich schön!

Schau nach vorne! Ja, genau das tue ich jetzt auch und drehe mich auch nicht mehr um! Ich lasse es hinter mir!

Bleibt positiv!

*update* 25.07. – ich danke euch für die tröstenden und auch sehr aufmunternden Worte, die vielen privaten Nachrichten, die ich alle im Laufe der Zeit auch gerne beantworten möchte. Nehmt es mir nicht krumm, wenn ich nicht immer direkt antworten kann, wir haben noch einiges zu tun ❤gestern bin ich in alle Häuser und habe bei vielen betagten Nachbarn mitgeholfen, die Soforthilfeanträge auszufüllen. Viele, so auch wir, stehen vor dem Nix, weil die bedeutsame

*Elementar*Versicherung nicht vorhanden ist. Aber auch das stellt sich uns jetzt nicht mehr in den Weg.

Meinen Tieren geht es gut, seitdem wir mit den Aufräumarbeiten im Haus begonnen haben, sind meine Miezis wieder mit dem Fellnäschen dabei. Eine geht bereits auch wieder in den Garten, die kleine ist noch etwas verunsichert.

Unser Hund ist direkt nach der Evakuierung zu einer lieben Freundin und kommt wahrscheinlich die nächsten Tage wieder heim. Bedingt durch die ganzen Aufräumarbeiten allein nur hier in der Straße liegt leider sehr viel Glas und auch Schrauben auf den Wegen und Straßen. Und das möchte ich meinen Hund noch nicht antun.

Wir selbst sind wohlauf, manchmal kraftlos, aber niemals mutlos!

Fühlt euch alle gedrückt, danke für die Worte, fürs Teilen meines Beitrags! Ihr macht mich sprachlos 😪

Yvonne Schneider Hochwasser in AW – freiwillige Helfer


Abschlussbild aus SCHULD …

Heute Abend ist unser Einsatz dort beendet

Sarah und ich sind bereits seit 1 Stunde wieder in Drensteinfurt

Ein MPS jagt nun das nächste

Es gibt extrem viel hier mit meinen Bürokräften zu besprechen und zu klären, morgen wird ein harter Bürotag

Unsere MPS Helfer fahren morgen früh in SCHULD weg, morgen Nachmittag ist frei, Freitag fahren wir alle wieder um 7 Uhr Richtung Bückeburg

DANKE an unsere gesamte HELFERTRUPPE in Schuld auf der Bahnhofstraße 1 für Euren Einsatz bei Hermann und Karen, bei den Nachbarn und auf der Brücke

DANKE an:

Die fest angestellten MPS Helfer

Die zahlreichen MPS Fans

Uschi und Micha

An die MPS Künstler wie Rectus, Lupus, Tödchen

An die tollen Jungs der Bundeswehr aus Gerollstein

An Jens den Einzelkämpfer vom Zoll

An die Familie von Karen und Hermann

An Marius und Michael von Ahrkustik und an die anderen Nachbarn, Treckerfahrer, Baggerfahrer, Radladerfahrer usw.

An die MPS Afrika Tourmitglieder

An die Jungs von THW und FEUERWEHR und an die Jungs von der Polizei

An meine Sarah

Besonders auch DANKE an den Chefkoch HEINZ

Einen Teil dieser Menschen seht Ihr auf diesem Foto

Ihr habt grandiose Arbeit geleistet und brutal harte Arbeit geleistet und überaus schmierige und schwierige Jobs verrichtet

Kommt alle heile Heim

Wir sehen uns auf dem MPS

Ich bin stolz auf Euch und stolz auf ALLE, die gerade auch in den zahlreichen deutschen Hochwassergebieten so einen harten Job machen

Und allen anderen sage ich : fahrt hin und helft mit den Wahnsinn zu beseitigen, egal ob in Schuld oder anderswo

Treffpunkt in Schuld ist die Bahnhofstraße 1, bitte bei Hermann oder Lucca melden

DANKE

Gisi

HERMANN, KAREN und LUCCA – Kopf hoch, alles wird wieder gut, aber es dauert halt etwas

Mittelalterlich Phantasie Spectaculum

Bilder & Beiträge auf Facebook / DANKE FÜR DIE HILFE!!!