Roswitha: „Eine weise Geschichte“

Einst besaß ein Mann einen wunderschönen Papagei, der in einem goldenen Käfig lebte. Als er auf eine Reise nach Indien gehen wollte, verabschiedete er sich von seinem Papagei und sagte zu ihm: „Ich gehe in deine Heimat. Hast Du eine Botschaft oder einen Wunsch?“ Der Papagei erwiderte: „Ja, gehe zu meiner Familie und beschreibe meine Situation. Nichts anderes will ich“.

Der Kaufmann ging an den besagten Ort, sah die Papageien auf den Bäumen sitzen und sprach zu ihnen: „Ich bringe euch eine Botschaft: „Ein Mitglied eurer Familie lebt in meinem Haus. Er hat ein gutes Leben, Essen und sitzt in einem goldenen Käfig. Er lässt euch grüßen.“ Da begann einer der Papageien zu zittern, wurde steif und viel tot vom Baum. Der Mann sagte zu sich: „Das war sicher ein Verwandter meines Papageis. Ich hätte nichts sagen sollen“.

Als er wieder zu Hause ankam, ging er zu dem Käfig des Papageien und sagte, dass er die Botschaft ausgerichtet hatte. Der Papagei fragte begierig, was sie geantwortet hätten. Der Kaufmann entgegnete: „Als ich deine Botschaft überbracht hatte, fiel einer deiner Verwandten tot zu Boden“. Sobald er dies gesagt hatte, fiel der Papagei auf den Boden des Käfigs und starb.

Der Kaufmann wurde sehr traurig und öffnete den Käfig. Er nahm den Papagei vorsichtig in seine Hand, doch da flog der Papagei los und setzte sich auf eine hohe Mauer. Er bedankte sich beim Kaufmann und sagte: „Du selbst hast mir die Freiheit ermöglicht. Ich habe nur so getan, als ob ich tot wäre. Das ist die Botschaft, die meine Familie aus Indien dir für mich mitgab. Als sie vernommen hatten, dass ich hier gefangen bin, haben sie mir einen praktischen Hinweis gegeben, was ich zu tun hätte, um frei zu kommen. Stirb, damit Du lebst und deine Freiheit wiedererlangst!“

Geschichte aus Indien / Verfasser unbekannt

Fotoquelle Pixabay / Fotograf Manfred Richter