Gesunder Menschenverstand

Bahner und Pankalla zum Weimarer Urteil

Gordon Pankalla

Gestern gab es ein Urteil aus Weimar. Auf eine Strafe wurde verzichtet, da der Richter feststellte, es bestünde keine epidemische Lage, in tatsächlicher Hinsicht. Das Urteil stellt einen Meilenstein da, wie es zu bewerten ist: heute Abend 20.30 live mit RAin Beate Bahner.


Gericht bestätigt katastrophales Versagen der Politik Reiner Fuellmich Amtsgericht Weimar


Spektakuläres Corona-Urteil: Richter nennt Lockdown „katastrophale Fehlentscheidung“

22.01.2021 | 22:37

Das Amtsgericht Weimar hat einen Mann freigesprochen, der im April 2020 gegen die Corona-Auflagen verstoßen hatte. FOCUS Online liegt das hochbrisante Urteil vor. Es stuft das vom Staat angeordnete allgemeine Kontaktverbot als verfassungswidrigen Tabubruch ein – und stellt damit die gesamte deutsche Lockdown-Politik infrage.

Manche Sätze dieses Gerichtsurteils muss man zweimal lesen. Nicht, weil sie juristisch so kompliziert wären, sondern weil sie politisch hochbrisant sind. Sie wirken direkt hinein in die aktuelle Debatte um Rechtmäßigkeit und Sinn staatlicher Schutzmaßnahmen im Kampf gegen Corona.

Dabei widersprechen die richterlichen Feststellungen zu großen Teilen der vorherrschenden Meinung von Wissenschaft und Politik – und dürften deshalb für viele Menschen überraschend kommen. Einige werden den Aussagen zustimmen und sich in ihrer Kritik am Kurs der Regierung bestätigt sehen. Andere werden die Argumentation des Gerichts nur schwer nachvollziehen können — und hoffen, dass das Urteil gekippt wird.

Manche Sätze dieses Gerichtsurteils muss man zweimal lesen. Nicht, weil sie juristisch so kompliziert wären, sondern weil sie politisch hochbrisant sind. Sie wirken direkt hinein in die aktuelle Debatte um Rechtmäßigkeit und Sinn staatlicher Schutzmaßnahmen im Kampf gegen Corona.

Dabei widersprechen die richterlichen Feststellungen zu großen Teilen der vorherrschenden Meinung von Wissenschaft und Politik – und dürften deshalb für viele Menschen überraschend kommen. Einige werden den Aussagen zustimmen und sich in ihrer Kritik am Kurs der Regierung bestätigt sehen. Andere werden die Argumentation des Gerichts nur schwer nachvollziehen können — und hoffen, dass das Urteil gekippt wird.

Amtsgericht: Lockdown mit Kontaktverbot verfassungswidrig

Worum genau geht es? Das Amtsgericht Weimar hat die Lockdown-Politik in Deutschland und das damit einhergehende allgemeine Kontaktverbot für illegal erklärt. Zwar bezieht sich das vor wenigen Tagen gefällte und noch nicht rechtskräftige Urteil auf einen Vorfall im Frühjahr 2020 in Thüringen. Doch das Gericht nahm in seiner Bewertung auch den bundesweiten „Wellenbrecher-Lockdown“ aus dem November 2020 ins Visier, der zweimal verlängert wurde und quasi bis heute gilt, sogar in verschärfter Form (Az.: 6 OWi – 523 Js 202518/20).

Härtere Corona-Maßnahmen – Große Bundesländer-Übersicht: Wann die verschärfte Maskenpflicht bei Ihnen gilt In seiner 19-seitigen Urteilsbegründung, die FOCUS Online vorliegt, stuft das Amtsgericht das allgemeine Kontaktverbot als „verfassungswidrig“ ein. Mit der Maßnahme habe der demokratische Rechtsstaat ein „Tabu verletzt“ und gegen die „als unantastbar garantierte Menschenwürde“ verstoßen. Die politischen Entscheider hätten „die Grundlagen der Gesellschaft“ angegriffen und die Freiheitsrechte der Menschen auf unzulässige Weise beschnitten. Die Eingriffe seien nämlich „unverhältnismäßig“ gewesen.

Urteil: Im Frühjahr kein „allgemeiner Gesundheitsnotstand“

Das Gericht bezeichnet die Lockdown-Maßnahmen in Thüringen und damit auch die Lockdown-Maßnahmen insgesamt als eine „katastrophale politische Fehlentscheidung mit dramatischen Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche der Menschen“. Bei ihren gut gemeinten Bemühungen, ein Ausbreiten des Virus einzudämmen, habe sich die Politik zum Teil auf „falsche Annahmen“ gestützt oder gesicherte Fakten falsch interpretiert. Jedenfalls sei die Lage nicht allumfassend geprüft worden.

So habe im Frühjahr 2020 weder in Thüringen noch anderswo in Deutschland ein „allgemeiner Gesundheitsnotstand“ geherrscht, stellt das Gericht fest. Es bestand demnach weder die Gefahr, dass unser Gesundheitssystem zusammenbrechen würde, noch dass die Zahl der Todesfälle in „vollkommen andere Dimensionen“ steigen würde als bei den „regelmäßig vorkommenden Grippewellen“.

Deshalb habe der Staat kein Recht gehabt, einen Lockdown anzuordnen und damit „die umfassendsten und weitreichendsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik“ durchzusetzen.

Politiker und Wissenschaftler werteten Lage völlig anders

Die verantwortlichen Politiker haben das damalige Infektionsgeschehen und die daraus resultierende Bedrohungslage für die Bevölkerung freilich völlig anders eingeschätzt und aus ihrer Sicht absolut verantwortungsvoll gehandelt. Zudem standen sie in dieser Extremsituation unter großem Handlungsdruck.

Bei ihren Entscheidungen ließen und lassen sie sich von renommierten Wissenschaftlern beraten. Mit Sicherheit sind auch Top-Juristen involviert, die genau prüfen, ob die angedachten Maßnahmen rechtlich haltbar sind. Offenkundig kamen die Experten dabei zu gänzlich anderen Schlüssen als jetzt das Amtsgericht in Weimar.

Konkreter Fall: Acht Leute bei Geburtstagsfeier im Hinterhof

Dass sich ein kleines Gericht so intensiv in die nicht gerade unkomplizierte Materie einarbeitet, darf als außergewöhnlich bezeichnet werden. Schließlich stellte der zu beurteilende Sachverhalt lediglich eine Ordnungswidrigkeit mit einem angedrohten Bußgeld über 200 Euro dar: Ein junger Mann hatte am 24. April 2020 gemeinsam mit sieben Freunden in einem Hinterhof Geburtstag gefeiert. Damit verstieß er gegen die Thüringer Verordnung zum Schutz vor Corona. Dort stand, dass man sich höchstens „mit einer weiteren haushaltsfremden Person“ treffen dürfe.

Ähnliche Gesetzesverstöße beschäftigen Amtsgerichte in ganz Deutschland seit vielen Monaten. Doch während es dort oftmals nur um die Höhe des Bußgelds geht, hinterfragte das Amtsgericht Weimar die rechtlichen Grundlagen der politischen Entscheidung. Bei Rechtsverordnungen, die nicht vom Bundestag oder von einem Landtag beschlossen wurden, darf jedes Gericht selbst über die Verfassungsmäßigkeit befinden.

Urteil in Weimar: „Der Betroffene wird freigesprochen“

Nach sorgfältiger Abwägung aller Fakten kam das Gericht zu dem Schluss: „Der Betroffene wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.“ Die von dem Thüringer Gericht vorgetragenen Argumente sind bemerkenswert, weil sie nicht nur die Rechtmäßigkeit der Lockdown-Maßnahmen verneinen, sondern auch deren Wirksamkeit bestreiten.

So heißt es im Urteil, mit dem allgemeinen Kontaktverbot greife der Staat „die Grundlagen der Gesellschaft“ an, indem er physische Distanz zwischen den Bürgern erzwinge. Allerdings, so das Gericht: „Die Frage, wie viele Menschen ein Bürger zu sich nach Hause einlädt oder mit wie vielen Menschen eine Bürgerin sich im öffentlichen Raum trifft, um spazieren zu gehen, Sport zu treiben, einzukaufen oder auf einer Parkbank zu sitzen, hat den Staat grundsätzlich nicht zu interessieren.“ Allgemeines Kontaktverbot: Gericht erkennt „Tabubruch“

Das Gericht geht davon aus, dass es im Lauf der Corona-Krise innerhalb unserer Gesellschaft zu einer „Werteverschiebung“ gekommen ist. Dinge, die vorher undenkbar gewesen seien, würden viele Menschen inzwischen als „normal“ empfinden, auch in Bezug auf eingeschränkte Grundrechte. Dennoch könne „kein Zweifel“ daran bestehen, dass der demokratische Rechtsstaat mit einem allgemeinen Kontaktverbot „ein bisher als vollkommen selbstverständlich angesehenes Tabu verletzt“ habe.

Dem Bürger werde die grundlegende Freiheit genommen, selbst zu entscheiden, welchen Risiken er sich aussetzen will. Er könne nicht mehr frei wählen, ob er „abends ein Café oder eine Bar besucht“ und dabei eine „Infektion mit einem Atemwegsvirus in Kauf nimmt“ – oder ob er sicherheitshalber lieber zu Hause bleibt. Der Staat betrachte seine Bürger als Objekte, die mit Zwang „auf Abstand“ gebracht werden müssen, heißt es im Urteil. „Das freie Subjekt, das selbst Verantwortung für seine und die Gesundheit seiner Mitmenschen übernimmt, ist insoweit suspendiert.“

Lockdown: Zweifel an signifikanten positiven Effekten

All das wäre aus juristischer Sicht möglicherweise noch hinnehmbar, wenn sich der Staat in einer „ganz außergewöhnlichen Notlage“ befinden würde, so das Gericht. Etwa wenn ein „flächendeckender Zusammenbruch des Gesundheitssystems“ drohe oder sich abzeichnen würde, dass die Todeszahlen extrem stiegen. Solche Anzeichen kann das Gericht für den Zeitpunkt der zu bewertenden Ordnungswidrigkeit im Frühjahr 2020 jedoch nicht erkennen.

Außerdem sei von einem allgemeinen Kontaktverbot kein „substanzieller Beitrag zur positiven Beeinflussung einer Epidemie zu erwarten“. Der im November 2020 zunächst nur für einen Monat angeordnete und inzwischen zweimal verlängerte „Wellenbrecher-Lockdown“ würde bestätigen, dass „sich mit Lockdowns das Infektionsgeschehen und insbesondere die Zahl der tödlich verlaufenden Fälle nicht signifikant beeinflussen lässt“.

Auch in diesem Punkt vertreten viele Wissenschaftler und Politiker eine gänzlich andere Auffassung. Sie sehen es als zwingend notwendig – und rechtlich zulässig – an, die Kontakte zwischen Menschen auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Nur so ließen sich Neuansteckungen vermeiden und Infektionsketten effektiv nachverfolgen.

Entscheidung nicht allgemeingültig, aber mit Signalkraft

Bundesweite Bedeutung hat das Amtsgerichts-Urteil nicht. Die konkreten Auswirkungen beschränken sich allein auf den Kläger und die Stadt Weimar. Gleichwohl dürfte die Entscheidung  weit über die Grenzen Thüringens hinaus für Diskussionen sorgen und auch die Debatte unter Juristen vorantreiben. Schließlich gibt es in Deutschland bislang keine einheitliche Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit von Kontaktbeschränkungen.

Unbestritten ist, dass die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in die Freiheitsrechte der Bürger begrenzt sind und in jedem einzelnen Fall sehr gut begründet sein müssen – auch oder gerade in einer pandemischen Lage. Das galt im Frühjahr 2020 ebenso wie im Januar 2021. Insofern bleibt die spannende Frage, wie das Gericht einen gleichgelagerten Vorfall bewerten würde, wenn er sich erst vor wenigen Tagen zugetragen hätte.

Staatsanwaltschaft strebt die Aufhebung des Urteils an

Die Infektionslage in Thüringen sowie im gesamten Bundesgebiet stellt sich mittlerweile deutlich dramatischer dar als im Frühjahr 2020. Die vom Gericht beanstandete Corona-Verordnung vom 18. April 2020 ist inzwischen durch andere Verordnungen des Landes ersetzt worden.

Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat mittlerweile beim Amtsgericht einen Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde eingelegt, erklärte der Sprecher der Behörde, Hannes Grünseisen, an diesem Freitag. Damit wolle man erreichen, dass das Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und einem anderen Richter zur Neuverhandlung übertragen wird.

Anni und Martin


https://www.focus.de/politik/thueringer-urteil-bringt-regierung-in-erklaerungsnot-corona-hammer-gericht-nennt-lockdown-eine-katastrophale-politische-fehlentscheidung_id_12899284.html?fbclid=IwAR1FjizMUm1uSkY_f4gseQoqsxioO_nBbEInPmT3OzP8jUAZxjaIQfdyJjU


Lockdown ist grundgesetzwidrig – sagt die unabhängige Justiz!

Autor Vera LengsfeldVeröffentlicht am

Ein vorbildlicher Akt richterlicher Souveränität

Wenn Justitia einen abirrenden Gesetzgeber kontrolliert

von Carlos A. Gebauer

Dieser Beitrag erchien zuerst auf der Achse des Guten

Ein soeben veröffentlichtes Urteil des Amtsgerichtes Weimar vom 11. Januar 2021 bestätigt in beeindruckender Argumentationstiefe die Vermutung, dass die „Lockdowns“, die unser aller Leben seit Monaten einfrieren, mit unserem Grundgesetz schlechterdings nicht in Einklang zu bringen sind.

Bei dieser Entscheidung handelt es sich auch nicht „nur“ um ein unbedeutendes amtsgerichtliches Urteil. Die gerichtliche Verteidigung eines Menschen, der wegen „Corona-Verstößen“ mit einem Bußgeld bedacht wird, beginnt nämlich stets just dort: Vor Amtsgerichten. Jeder, der einen Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen Corona-Auflagen zugestellt erhält, ist gut beraten, sich mit diesem Urteil aus Weimar auseinanderzusetzen (6 OWi-523 Js 202518/20).

Dem Urteil war eine Geburtstagsfeier vorangegangen, zu der sich 8 Menschen aus 7 Haushalten am 24. April 2020 in einem Hinterhof versammelt hatten. Die Polizei sah in diesem Fest einen Verstoß gegen die „Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2“. Minutiös legt das Amtsgericht Weimar nicht nur der örtlichen Polizei nun dar, warum der Betroffene dieses Bußgeldverfahrens freizusprechen war: Die Landesverordnung ist verfassungswidrig und nichtig.

Das Gericht stützt seine gleichsam vernichtende Kritik an der gesetzgeberischen Leistung gleich auf mehrere einschneidende Gesichtspunkte. In formeller Hinsicht genügt die Verordnung nicht den Ermächtigungsvoraussetzungen des Grundgesetzes. Im Einzelnen wird erläutert, warum der Gesetzgeber selbst (und nicht der Verordnungsgeber) über die allgemeinen Kontaktverbote hätte entscheiden müssen. Der Gesetzgeber hat darüber hinaus auch nicht beschrieben, mit welchen genauen Maßnahmen welches Ziel erreicht werden sollte und er hat sich keine zureichenden Gedanken darüber gemacht, was ein Verordnungsgeber mit der ihm erteilten Ermächtigung künftig alles anstellen werde. Da der Gesetzgeber die exzessiven Eingriffe in bürgerliche Grundrechte zudem nicht einmal hinreichend beschrieben hat, steht das allgemeine Kontaktverbot schon formal auf keiner belastbaren Rechtsgrundlage.

Zusätzlich erfreulich an dem Urteil des Amtsgerichtes Weimar ist, dass die Unzulänglichkeit der ursprünglichen Ermächtigung aus § 28 des Infektionsschutzgesetzes vom 27. März 2020 mit vielerlei Rechtsprechungsnachweisen plausibilisiert wird. Der Kenner sieht daran: Die Auffassung des Gerichtes steht mitnichten alleine, auch andere Gerichte sahen und sehen es ebenso. Das Urteil bleibt bei dieser rechtlichen Darstellung per 24. April 2020 indes nicht stehen. Es erläutert darüber hinaus, dass auch die nachgeschobene weitere Ermächtigungsgrundlage im späteren § 28a des Infektionsschutzgesetzes ein allgemeines Kontaktverbot gar nicht legitimieren kann. Dieser Begründungsteil des Urteiles ist für jedermann von Bedeutung, der mit Bußgeldern auf Basis der rechtlichen Regelung nach dem 18. November 2020 belegt worden ist. Anders gesagt: Das Urteil weist argumentativ vorsorglich auch tragfähig in die Zukunft.

Im weiteren erläutert das Gericht überzeugend, warum es allen deutschen Gesetzgebern tatsächlich schon am 28. März 2020 unmöglich war, ihre Aktivitäten auf eine unübersichtliche Faktenlage oder gar auf „unvorhergesehene Entwicklungen“ zu stützen. Es beeindruckt besonders ein Kernsatz des Urteiles:

Es gab keine ‚epidemische Lage von nationaler Tragweite‘, wenngleich dies der Bundestag mit Wirkung ab dem 28.03.2020 festgestellt hat.

Zur Begründung dieses vorbildlichen Aktes richterlicher Souveränität zur verfassungsrechtlich gewünschten Kontrollfunktion der dritten Gewalt erläutert die Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht, wie sich die Entwicklung der Neuerkrankungen bereits ab dem 18. März 2020 statistisch dokumentiert dargestellt hatte. Zugleich wird in dem Urteil mit Belegstellen aus Veröffentlichungen des Robert-Koch-Institutes erklärt, dass die Reproduktionszahl R schon am 21. März 2020 unter den Wert von 1 gefallen war. Dem Amtsgericht zugänglich waren auch (wie jedermann, der über einen Internetanschluss verfügt) die Abrechnungsdaten der Initiative Qualitätsmedizin, sowie die Sterbestatistik des Statistischen Bundesamtes. Mit anderen Worten: Aus allgemein zugänglichen Quellen war bereits zum Zeitpunkt der parlamentarischen Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite zum 28.03.2020 erkennbar, dass eine solche Lage tatsächlich überhaupt nicht bestand.

Die Thüringer Verordnung ist nach den weiteren Entscheidungsgründen des Urteiles aber nicht nur formell rechtswidrig, sondern auch materiell verfassungswidrig. Sie verstößt gegen die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde:

Es gehört zu den grundlegenden Freiheiten des Menschen in einer freien Gesellschaft, dass er selbst bestimmen kann, mit welchen Menschen (deren Bereitschaft vorausgesetzt) und unter welchen Umständen er in Kontakt tritt. Die freie Begegnung der Menschen untereinander zu den unterschiedlichsten Zwecken ist die elementare Basis der Gesellschaft. … Mit dem Kontaktverbot greift der Staat … die Grundlage der Gesellschaft an, indem er physische Distanz … erzwingt. Kaum jemand konnte sich noch im Januar 2020 in Deutschland vorstellen, dass es ihm durch den Staat unter Androhung eines Bußgeldes untersagt werden könnte, seine Eltern zu sich nach Hause einzuladen, sofern er nicht für die Zeit ihrer Anwesenheit die übrigen Mitglieder seiner Familie aus dem Haus schickt. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass es drei Freunden verboten sein könnte, zusammen auf einer Parkbank zu sitzen. Noch nie zuvor ist der Staat auf den Gedanken verfallen, zu solchen Maßnahmen zur Bekämpfung einer Epidemie zu greifen. Selbst in der Risikoanalyse ‚Pandemie durch Virus Modi-SARS (BT-Drs. 17/12051), die immerhin ein Szenario mit 7,5 Millionen Toten beschrieb, wird allgemeines Kontaktverbot (ebenso wie Ausgangssperren und die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens) nicht in Erwägung gezogen.

Mit dem allgemeinen Kontaktverbot werde daher schlichtweg ein Tabu verletzt. Jeder Bürger werde nun „als potentieller Gefährder der Gesundheit Dritter“ behandelt. Dies sei mit dem Schutz der Menschenwürde in dieser Generalität schlechterdings nicht in Einklang zu bringen. Die wechselnden gesetzgeberischen Legitimationsversuche, mal die Reproduktionszahl unter einen Wert von R 1 bringen zu wollen, mal die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zu erhalten, mal den Anstieg der Neuinfektionen zu bremsen, mal die Infektionen zu minimieren, mal einen „Wellenbrecher-Lockdown“ anzustreben oder was immer im Laufe der Zeit genannt wurde, lassen sich allesamt nicht mit dem verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsprinzip in Einklang bringen. Für den Gesetzgeber war die Zwecklosigkeit einer allgemeinen Kontaktverbotsanordnung nämlich konsequent unübersehbar.

Zuletzt thematisiert das Amtsgericht Weimar sogar noch das, was in der erkennbaren Berichterstattung über gesetzgeberische Erwägungen bislang überhaupt keine ernsthafte Berücksichtigung gefunden hat: Die sogenannten „Kollateralschäden“, die sich überall zeigen. Alleine die faktische Sprengung des deutschen Staatshaushaltes beeindruckt für sich gesehen. Der deutsche „Corona-Schutzschild“ vom 27. März 2020 hat ein Volumen von 1173 Milliarden Euro. Der letzte Bundehaushalt des Jahres 2019 hatte vergleichsweise nur ein Volumen von 356,4 Milliarden Euro. Ohne es auszusprechen, stellt das Amtsgericht somit die Frage in den Raum, inwieweit eine vermeintliche epidemische Lage von nationaler Tragweite überhaupt legitimieren könnte, den gesamten Staatshaushalt der Bundesrepublik Deutschland zu sprengen.

In der gesamthaften Konsequenz jenes Urteiles liegt die Erkenntnis, dass ein allgemeines Kontaktverbot weit über den 24. April 2020 hinaus verfassungswidrig und also nichtig ist. In Anbetracht der argumentativen Gewalt des Urteiles darf also zu erwarten stehen, dass die Bußgeldrichter dieses Landes sich jener Rechtserkenntnis weithin anschließen. Etwas anderes ordnungsgerecht juristisch zu begründen, dürfte schwierig bis unmöglich sein.

No­ti­zen von un­ter­wegs

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Krank war gestern – by Kai Brenner

Bildquelle: Pixa Bay / Freie Nutzung