Aufbrüche in ein neues Bewusstsein, Philipp Alsleben

Über Aufwachprozesse und die Geburt einer neuen Kultur


Manches will gesagt oder geschrieben werden, weil es sonst keiner sagt oder schreibt – wenn es mir keiner erklärt, dann muss ich es mir selber erklären.

Und manches will geschrieben werden, weil dem Autor sonst langweilig ist.

Eines davon kann schon ausreichende Motivation für die folgende Gedankensammlung sein. Ich verspreche aber auch, mich trotz aller Versuchungen bei den entscheidenden Punkten auf Andeutungen zu beschränken.

Teil I: Aufwachprozesse

Große Erwartungen erfüllen den Aufwachraum der psycho-politischen Anästhesieabteilung. Die meisten liegen noch still träumend im tiefen Koma, aber unter den Aufwachenden überlappen sich Traumbilder und erste Wahrnehmungsfetzen der Realität in einem schwankenden Gemisch von Aufregung und verzweifelter Ungeduld. Die eigentliche Aufwachphase ist die unruhigste von allen, weil die jahrzehntelange, für die meisten lebenslange Sedierung nachlässt und zunächst unkontrollierte Kampf-oder-Flucht-Reflexe freilegt, die im halbschlafähnlichen Zustand noch voller verzerrter Bilder ohne Realitätsbezug sind. Man kann die Aufgewachten recht leicht von den Aufwachenden in ihren verschiedenen Stadien unterscheiden anhand der Ruhe, Besonnenheit und Sicherheit, die proportional mit der Berührung mit Wirklichkeit wachsen. Das Personal bewegt sich sehr ruhig und geschmeidig zwischen den Betten…

Keiner der Neuankömmlinge weiß, wo er ist. Aber sie gehen sehr unterschiedlich damit um. Denn jeder kommt aus einer etwas anderen Traumwelt, die noch lange nicht erkannt und noch weniger abgestreift ist. Während das freundliche Personal die Spritzen zur verstärkten kollektiven Narkoseausleitung vorbereitet, braucht es vielleicht ein paar Hinweise für die verträumten Rückkehrer zur Orientierung und zum störungsfreien Umgang mit den lauteren und aufsehenerregenden Gefährten in dieser forcierten Ausnüchterungskur.

Aufwachen bedeutet nicht zu erwachen so wie Aufwachsen nicht das gleiche ist wie Erwachsen (werden). Das eine ist eine Veränderung der Wahrnehmung ohne Selbstveränderung. Das andere ist der Übergang in ein neues Selbstgewahrsein und eine neue Identität.

Aufwachen ist wie zu erkennen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Und man ist dann umgeben von lauter Kindern, die das nicht verstehen. Die Sache mit dem Weihnachtsmann haben die meisten heutzutage ja verstanden, aber das war es dann im Großen und Ganzen auch schon.

Der eigentliche Aufwachprozess beginnt erst ab dem Moment, in dem man versteht, worum es eigentlich geht und um was es alles nicht geht. Alles andere bis dahin ist nur Vorbereitung. Durch äußere Hammerschläge gezwungen zu werden, hier und da mal ein bisschen genauer hinzuschauen ist noch kein Aufwachen, höchstens eine somnambule Lernerfahrung.

Das „Great Awakening“ ist ein notwendiger Lernprozess, ein Augenöffner, aber kein Erwachensprozess. Die Menschen werden kollektiv wacher, weil sie geweckt werden und nicht weil sie von innen heraus, aus sich selbst heraus irgendeine Umwandlung initiieren. Das Aufwecken ist nötig, um von der sinkenden Titanic hinüber in die Arche einer neuen Kultur und planetenweiten neuen sozialen Ordnung zu wechseln. Dort können und werden die meisten dann wieder einschlafen bzw. weiter dösen können.

Nicht die Menschen ändern sich oder müssten sich verändern, sondern die Kultur, in die sie hinein geboren werden, in der sie leben und sich entfalten.

Das ist es, worum es in diesem Artikel gehen soll: die Differenzierung von individuellen Bewusstseinsveränderungen und kulturellen Paradigmen- und Narrativwechseln. Der plötzliche Wechsel vieler oder sogar aller grundlegender Narrative über die Welt, über die Menschen und wie alles funktioniert, ist ein eher seltenes Ereignis in der Menschheitsgeschichte. Die meisten Anpassungen und Evolutionsschritte finden langsam über größere Zeiträume statt, betreffen meist nur ein Segment der Sozialisierung und Anschauungen und ereignen sich außerdem erst nur sporadisch bevor sie allgemeinwirksam werden.

Diesmal probiert die Menschheit etwas Neues, indem sie die notwendigen Anpassungen in ihrer psychischen und geistigen Entwicklung über Hunderte von Jahren hinauszögerte und durch ein hypnotisches Wegschauen versuchte zu ignorieren. Dadurch entstand ein Entwicklungs- und Lernrückstand, der sich zu einer gewaltigen Kluft zwischen Weltbild und realer Welt auswuchs. Jetzt brechen die künstlichen (Stau-)dämme und überfluten die Menschheit mit einer gewaltigen Welle an Totalveränderungen.

Kehren wir zurück in den Aufwachraum.

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